Öffentliche Unternehmen: Frauenanteil in Chefetagen stagniert

Public WoB-Index: Mit Rückschritt, Stagnation und geringem Zuwachs verfehlen öffentliche Unternehmen den Durchbruch bei der gleichberechtigten Teilhabe


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»   Bundesministerin Lambrecht: „Mit dem FüPoG II erhöhen wir den Druck auf Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung.“

»   FidAR-Präsidentin Schulz-Strelow: „Stagnation statt Ambition ist nicht hinnehmbar – öffentliche Unternehmen zeigen bei gleichberechtigter Teilhabe Ermüdungserscheinungen.“

Berlin, 12.08.2021: Die öffentlichen Unternehmen treten bei der Erhöhung des Frauenanteils in Führungs­positionen weitgehend auf der Stelle. Zwar ist der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der 263 größten Beteiligungen von Bund und Ländern auf 34,7 Prozent gestiegen (2020: 32,2 %) und liegt knapp über der Quote in der Privatwirtschaft. Der Frauenanteil in den Top-Managementorganen stagniert dagegen und beträgt wie im Vorjahr 22 Prozent. Weiterhin veröffentlichen 48 (36,6 %) und damit über ein Drittel der zielgrößenpflichtigen 131 Bundes- und Länderbeteiligungen keine Zielgrößen zum Frauenanteil. Das sind die Ergebnisse des heute vorgestellten Public Women-on-Board-Index von FidAR mit Stand 01.01.2021.

Für zusätzlichen Druck sorgt das heute in Kraft getretene Führungspositionengesetz II: Eine feste Quote von 30 Prozent Frauen in Aufsichtsgremien bei den Mehrheitsbeteiligungen des Bundes, ein Mindestbeteiligungsgebot für das Top-Managementorgan von Mehrheitsbeteiligungen des Bundes mit mehr als zwei Geschäftsführungsmitgliedern und eine sanktionsbewehrte Begründungspflicht für Zielgröße Null sind die wichtigsten Maßnahmen für mehr Gleichberechtigung in den öffentlichen Unternehmen. 74 Beteiligungen des Bundes fallen unter die Aufsichtsratsquote, nur 43 Bundesbeteiligungen sind von der Mindestbeteiligung im Top-Managementorgan betroffen. Zum Stand der Untersuchung zu Jahresbeginn hatten davon 12 Unternehmen (27,9 %) kein weibliches Vorstandsmitglied. Eines davon – die Forschungszentrum Jülich GmbH – hatte als Zielgröße „Null“ festgelegt, im April und Juni 2021 jedoch mit Prof. Dr. Frauke Melchior und Dr. Astrid Lambrecht zwei Frauen in den Vorstand berufen. Ferner hat die S-Bahn Berlin GmbH im Juni 2021 mit Jenny Zeller eine Frau in die Geschäftsführung aufgenommen. Somit haben 10 der 43 Unternehmen derzeit keine Frau im Top-Management und entsprechenden Handlungsbedarf.

Ziel ist Parität in Leitungspositionen des öffentlichen Sektors

„Unser zweites Führungspositionengesetz macht den Weg frei für mehr qualifizierte Frauen in den Unternehmensspitzen. Die Zeiten der reinen Männerclubs sind vorbei. Der Bund geht mit gutem Beispiel voran und setzt sich für seine Unternehmen strengere Vorgaben als für die Privatwirtschaft – beim Anteil von Frauen in den Geschäftsleitungen und mit der 30-Prozent-Quote für alle Aufsichtsräte der Bundesunternehmen. Ich bin sicher: Die Unternehmen und alle Beschäftigten werden von mehr Frauen im Top-Management profitieren. Der aktuelle Public WoB-Index zeigt, welche Unternehmen schon gut aufgestellt sind und welche noch aufholen müssen. Es wäre gut, wenn die Regelungen für Bundesunternehmen auch Signalwirkung in die Länder und Kommunen hinein haben, denn auch dort schaffen es noch zu wenige Frauen an die Spitze“, betont Bundesfrauenministerin Christine Lambrecht. „Quotenregelungen verändern nicht nur die Zusammensetzung der Führungsgremien, sondern sie wirken sich positiv auf die gesamte Unternehmenskultur aus. Dieses Umdenken brauchen wir insgesamt – auch bei den Beteiligungen von Bund und Ländern. Unser Ziel bleibt, dass die wichtigsten Bundesbeteiligungen paritätisch mit Frauen und Männern besetzt werden.“

Aufsichtsratsquote muss auf alle öffentlichen Unternehmen ausstrahlen

„Die Ergebnisse des Public WoB-Index sind ernüchternd: Beinah-Stillstand, Stagnation und Rückschritte – das wird der Vorbildfunktion staatlicher Beteiligungen nicht gerecht. In der Privatwirtschaft stellen wir eine deutlich steilere Lernkurve bei der gleichberechtigten Teilhabe fest. Die Entscheider bei den Beteiligungen der öffentlichen Hand müssen jetzt liefern“, erklärt FidAR-Präsidentin Monika Schulz-Strelow. „Vom zweiten FüPo-Gesetz ist zwar insgesamt nur eine geringe Zahl öffentlicher Unternehmen direkt betroffen. Aber wir setzen darauf, dass das Gesetz eine Signalwirkung für die Erhöhung des Frauenanteils in allen Führungsetagen der öffentlichen Unternehmen entfalten wird. Wir werden weiter genau hinsehen und transparent machen, wenn Beteiligungen von Bund und Ländern keine Zielgrößen vorlegen oder mit frauenfreien Führungsetagen planen. Neben dem Druck des Gesetzgebers gewinnt der öffentliche Druck an Bedeutung und ist weiter hochzuhalten.“

Bei Zielgrößen weiterhin oft Fehlanzeige

Weiterhin nutzt nur ein kleiner Teil der öffentlichen Unternehmen die Festlegung von Zielgrößen als strategisches Instrument, um ihre Ambitionen für mehr Frauen in Führungspositionen zu unterstreichen. Von insgesamt 131 zielgrößenpflichtigen öffentlichen Unternehmen, die in der Studie untersucht wurden, legen 48 (36,6%, 2020: 49 / 39,8 %) keine Zielgrößen vor. Davon entfallen acht (13,3 %) auf die 60 zielgrößenpflichtigen Bundesbeteiligungen, 40 (56,3 %) auf die 71 der Zielgrößenpflicht unterliegenden Beteiligungen der Länder. Die vorliegenden Planziele sind weiterhin nur wenig ambitioniert. Mit 13 der 131 zielgrößenpflichtigen Unternehmen legt gar jede zehnte Beteiligung (9,9 %) die Zielgröße Null für das Top-Managementorgan fest.

Zielgrößen werden kaum als strategisches Instrument genutzt

„Die teilweise mangelhafte Transparenz bei den Zielgrößen der öffentlichen Unternehmen muss endlich überwunden werden. Es ist nicht akzeptabel, dass einige Beteiligungen entweder keine oder kaum brauchbare Planziele veröffentlichen“, kritisiert Schulz-Strelow. „So entsteht der Eindruck, dass die Zielgrößen eher nur zur zahlenmäßigen Erfüllung der gesetzlichen Pflicht denn als Instrument zur Veränderung der Unternehmenskultur hin zu gleichberechtigten Aufstiegschancen genutzt werden. Von den Beteiligungen der öffentlichen Hand, deren oberstes Ziel eine paritätische Besetzung der Gremien sein sollte, erwarten wir hier deutlich mehr und vor allem auch sichtbares Engagement für die gleichberechtigte Teilhabe.“

Länderranking: Berlin, Brandenburg und Hamburg haben die meisten Frauen in Aufsichtsgremien

In den Bundesländern liegen mit Berlin, Brandenburg und Hamburg weiterhin diejenigen Länder beim durchschnittlichen Frauenanteil in den Aufsichtsgremien vorne, in denen der jeweilige Public Corporate Governance Kodex (PCGK) auf Länderebene eine Empfehlung zur gleichberechtigten Teilhabe enthält. In Berlin ist der durchschnittliche Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der Landesbeteiligungen auf 55,6 Prozent sogar noch leicht gestiegen (2020: 55 %). Die Schlusslichter Bayern, Saarland und Sachsen haben keinen PCGK bzw. haben im Falle des Saarlands erst seit 2019 einen PCGK mit Diversity-Aussage. In Sachsen ist der durchschnittliche Frauenanteil sogar leicht gesunken. Das Ranking belegt, dass sich die Empfehlungen in den Regeln der guten Unternehmensführung im Engagement der Verantwortlichen für mehr gleichberechtigte Teilhabe in den Landesbeteiligungen niederschlagen.

Facts & Figures – Der Public WoB-Index im Überblick

Der Public Women-on-Board-Index von FidAR ist die bedeutendste repräsentative Studie zur Diversity in öffentlichen Unternehmen in Deutschland. Für die vorliegende achte Studie wurden 263 Beteiligungen von Bund und Ländern untersucht. 131 davon sind verpflichtet, Zielgrößen für das Aufsichtsgremium, Top-Managementorgan und die obersten zwei Managementebenen festzulegen und zu veröffentlichen. Von den 105 untersuchten Bundesbeteiligungen sind 60 zielgrößenpflichtig. Bei 45 der untersuchten Unternehmen entscheidet der Bund über mindestens drei Sitze im Aufsichtsgremium. Nach dem Bundesgremienbesetzungsgesetz sollten hier 50 Prozent der in die Aufsichtsgremien entsendeten Vertretenden Frauen sein.

Der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien der 263 untersuchten öffentlichen Unternehmen stieg auf 34,7 Prozent (2020: 32,2 %). Bei 64 Unternehmen (24,2 %) liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsgremien bei 50 Prozent oder höher (2020: 18,3 %). 15 Unternehmen (6 %) haben keine Frauen im Aufsichtsgremium (2020: 8 %), 12 Unternehmen (4,5 %) haben komplett frauenfreie Führungsetagen (2020: 5,3 %). Der Frauenanteil in Top-Managementorganen stagniert und liegt wie im Vorjahr bei 22 Prozent. Der Frauenanteil unter den Beschäftigten der 263 untersuchten öffentlichen Unternehmen beträgt 32,1 Prozent (2020: 47,8 %).

Der Public WoB-Index wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Studie wird von FidAR unter wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Michèle Morner, Leiterin des Wissenschaftlichen Instituts für Unternehmensführung und Corporate Governance, erstellt.

Die Studie zum Public WoB-Index kann unter www.public-wob-index.de eingesehen werden.

Ihre Ansprechpartnerin

Monika Schulz-Strelow, Präsidentin FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte e. V.
Tel.: +49 (30) 887 14 47 13, E-Mail: monika.schulz-strelow@fidar.de